Im Gedenken an Barbara Frischmuth

2. April 2025
Motivbild der Seite: Im Gedenken an Barbara Frischmuth

Aus den Gedanken für den Tag, 05.10.2002, 6.57 Uhr bis 7.00 Uhr, im Programm Österreich 1, Seelentiere, von Barbara Frischmuth.

Vögel verkörpern in der orientalischen Mystik die Seele und in der Türkei sagt man, wenn jemand gestorben ist: "Sein Seelenvogel ist entflogen." In dem per­sischen Epos Gespräche der Vögel von Altar übernimmt der Wiedehopf die Aufgabe, die anderen Vögel bei ihrer entbehrungsreichcn Pilgerschaft zum Simurgh anzuführen. Simurgh heißt eigentlich dreißig Vögel, und als die pilgernden Vögel endlich zu ihm gelan­gen, erkennen sie, dass sie auf der Suche nach sich selbst gewesen sind.

Es gibt viele mythische Vögel wie den Huma, der denjenigen zum Herrscher macht, auf den sein Flugschatten fällt. Oder die beiden Raben, die auf Odins Schultern hocken. Salomon soll sogar die Sprache der Vögel beherrscht haben, oder war es doch die der Seelen?

Die meisten Vögel wirken zart und ihr Federkleid, das sie so wunderbar auf­plustern können, lädt zur Berührung ein. Es scheint tatsächlich so etwas wie eine innige Vertrautheit zwischen Menschen und zahmen Vögeln zu geben. [n man­chen Kulturen gehört der Singvogel im Käfig zu den Dingen das Lebens. In China zum Beispiel, aber auch im Salzkammergut, wo sich der Vogelfang mit all seinen Ritualen immer noch gro­ßer Beliebtheit erfreut.

Es sind fast ausschließlich Männer, die dieser Leidenschaft erliegen. Man muss sie nur dabei beobachten, wie sie über und mit ihren Vögeln reden, mit wie viel ungeahnter Zärtlichkeit sie sich deren Pflege widmen, um dann ihre Stieglitze, Kreuzschnäbel, Gimpel und Zeisige, bis auf ein paar Lockvögel, im Frühjahr doch wieder ziehen zu Jassen. Was doch nur heißen kann, dass Empathie zwi­schen Wesen verschiedener Art möglich ist. Erst wenn man sich in den anderen hineindenkt, lernt man zu schätzen, was aus freien Stücken bedeutet.