Vogelfang im Salzkammergut
Altes Brauchtum als gelebte Tradition und Ausdruck von Naturverbundenheit
von Dipl. Ing. Dr. Ludwig WIENER
Vogelfang inmitten Europas am Anfang des 21. Jahrhunderts? Für viele unverständlich – verbindet man doch heute den Vogelfang mit längst vergessenen (Un)Sitten vergangener Zeiten oder mit Massenfängen in Südeuropa als Ausdruck von Vogelliebe, welche tatsächlich durch den Magen geht. Dennoch hat sich im Salzkammergut eine Tradition erhalten, welche sich eigenständig entwickelt hat und, ständig an die jeweilige Zeit angepasst, sich im reichhaltigen Brauchtumskalender des Salzkammergutes einen fixen Platz erworben hat.
Dieser Brauch reicht in älteste Zeit zurück und wird im österr. Teil des Salzkammergutes erstmalig in einer Instruktion Kaiser Rudolf II vom 20. Dezember 1579 erwähnt, indem er nicht nur den Vogelfang selbst als legal für das einfache Volk erklärte, sondern diesen auch auf kaiserlichen Besitzungen erlaubte. Dies war besonders im Salzkammergut von Bedeutung, war doch fast die gesamte Region in direkter kaiserlicher Verwaltung. Salzburgs Erzbischof Matthäus Lang regelte den Vogelfang bereits 1526 in ähnlicher Weise. Zahlreiche weitere Erlässe, Dekrete, Patente bzw. Bestätigungen folgten in den kommenden Jahrhunderten. Der ständige Hinweis auf das Recht des Vogelfangs gerade für die einfachen Landsleut bewirkte, dass der Vogelfang als „Jagd des Kleinen Mannes“ bezeichnet wurde.
Tatsächlich gibt es keinerlei Hinweise aus dem Salzkammergut, dass der Vogelfang zu Jagdzwecken (im Sinne von Töten) ausgeübt wurde. Die ältesten Beschreibungen des Vogelfangs im Salzkammergut gehen allerdings nur bis etwa Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. Demnach wurde der Vogelfang hier nur zur Stubenvogelhaltung und zum Verkauf von Stubenvögeln ausgeübt. Dieser Brauch wurde auch von ausgesiedelten Salzkammergütlern in andere Regionen mitgenommen, wo er sich zum Teil in gleicher Form wie hierzulande erhielt (z.B. in den Waldkarpaten der heutigen Ukraine).
Mit dem aufkommenden Tourismus Mitte des 19. Jahrhunderts im Salzkammergut nahm auch die Bedeutung des Stubenvogelhandels zu. Dazu wurden im Laufe der Zeit eigene Verkaufsausstellungen abgehalten, welche von großen Umzügen und viel Begleitprogramm (Tanzveranstaltung, Blumenschmuck u.s.w.) umrahmt wurden. Dokumentiert sind diese Vogelausstellungen seit dem Jahre 1862 in Ebensee, 1864 in Gmunden und 1910 in Bad Ischl. Vorher waren die Vogelfänger nicht organisiert und handelten ihre Vögel ohne derartig groß aufgezogene Veranstaltungen.
Die Ausstellungen waren ursprünglich Verkaufsausstellungen, eigentlich Vogelversteigerungen, bei welchen weniger der Gesang als die Schönheit der Vögel preisbestimmend war. Die Vogelfänger kamen aus der ganzen Region: vom Ausseerland, dem inneren Salkammergut, der Aber- und Mondseerland und von jenseits des Traunsees, dem Gmundner Umland. Den erzielten Erlös für die Vögel bekam aber nicht der einzelne Vogelfänger, sondern kam einer Gemeinschaftskassa (sog. Bruderlade) zugute, aus welcher zu verschiedenen Anlässen Geld entnommen wurde. So wurde z.B. in Ebensee der „Postchristbaum“ finanziert, das ist ein Weihnachtsfest für Waisenkinder beim Postwirt. Verkauft wurden die Vögel bis etwa Mitte der 30er Jahre. Ab dieser Zeit erhielt sich zwar die Ausstellung als gesellschaftliches Ereignis, Vögel werden aber nicht mehr veräußert. Wie damals, zählen auch heute die Farbenpracht, die Unversehrtheit und der einwandfreie Pflegezustand des Vogels als ausschlaggebende Merkmale.
Heute sind die derzeit rund 500 ausübenden Vogelfänger in 25 Vereinen organisiert, welche jährlich am Sonntag vor Katharina eine Vogelausstellung organisieren. Die Vogelausstellungen sind mitsamt ihrem traditionellen Umfeld noch heute ein gesellschaftlich wichtiger Brauchtumsbestandteil. Alle Vereine sind im „Verband der Vogelfreunde Salzkammergut“ zusammengeschlossen, welcher ebenfalls alljährlich am 1. Adventsonntag eine Ausstellung organisiert, zu welcher nur die jeweils schönsten Vögel der Vereinsausstellungen zugelassen sind.
Gimpel, Zeisig, Stieglitz und Kreuzschnabel sind jene Vogelarten, welche dem Salzkammergütler seit jeher das Blut in Wallung brachten. Der König unter ihnen war und bleibt aber der Kreuzschnabel, der Alpenpapagei, welcher diesen Namen aufgrund seiner Kletterkünste auf den Nadelbäumen erhielt. „Warum, so frage ich mich heute, brüten die Kreuzschnäbel ihre Jungen mitten im Winter aus? Heißt das für ein solches Ding nicht, alle Gewalten herauszufordern? Und doch tun sie´s und trotzen den Stürmen und den kalten Nächten. Und deshalb glaube ich, ist es durchaus keine Spielerei, seine List und Geschicklichkeit mit solch einem Sänger zu messen .“ So schreib der bekannte Schriftsteller Prof. Franz Kain in seiner „Vogelgeschichte“. Und er trifft die Motivation zum Vogelfang im Salzkammergut auf den Punkt. Nicht Massenfang mit großen Netzen ist das Ziel, sondern das Naturerlebnis, das Messen der menschlichen Geschicklichkeit mit jenem des Vogels, den einzelnen Vogel zu begehren und ihn zu bekommen. Dies gelingt bei Gott nicht immer. Deshalb ist es notwendig, die Vögel und deren Verhalten genauestens zu beobachten, ständig dazuzulernen, sich in die Welt des Vogels so hineinzudenken, als wäre man selber einer. Nur so hat man die Chance, sein Ziel auch tatsächlich zu erreichen. Gefangen wird hier seit jeher mit Fallen, mit denen man nur jeweils einen Vogel fangen kann. Die Art der Fallen hat sich freilich geändert und sich den jeweiligen technischen Möglichkeiten angepasst. Verwendete man früher Schlaghäuschen, Leimruten oder Kloben, so werden heute ausschließlich Netzkloben verwendet. Netzkloben sind kleine Fallen, bei denen der Vogel nicht mehr an den Beinen festgehalten wird, sondern ein ca. 20 x 30cm großes Netz den Vogel umgibt, wenn sich dieser auf die Sitzstange setzt. Die Engmaschigkeit des Netzes verhindert ein Hängenbleiben oder ein Einhaken der Flügel. Das Netz wird nicht fest zusammengehalten, sondern oben überkreuzt, sodass ein Befreiungsversuch das Netz schließt und nicht öffnet. Ein Vogel, der nicht zur Gänze vom Netz umgeben ist, kann sich leicht von selbst ohne Verletzungsgefahr befreien. Mit dieser Falle wird dem Ziel, den Vogel verletzungsfrei zu fangen in größtem Ausmaß Rechnung getragen. Für den Fang von Stieglitzen wird aufgrund seiner besonderen Verhaltensweise (er fliegt gerne auf den Wiesenboden) ein Bodennetz verwendet, welches nur dann schließt, wenn es durch den Vogelfänger ausgelöst wird. Auch hier wird das Netz (Größe ca. 1x1m) über dem Vogel gezogen. Nur so ist der von den Fängern gewünschte und vom Gesetzgeber verlangte selektive Fang möglich. Nach der naturschutzrechtlichen Ausnahmebewilligung dürfen pro Fänger zwischen dem 15. September und dem 30. November insgesamt nur 4 Vögel gefangen werden.
Zusammen mit dem Lockvogel - das ist ein unversehrter, sehr gesangsbegabter Vogel der selben Gattung - sucht man vor Tagesanbruch den Fangplatz auf, zu dem nicht selten mehrstündige Anmarschwege notwendig sind, um die Fallen und Lockvögel so zu platzieren, dass den vorher gemachten Beobachtungen über das Verhalten der Vögel Rechnung getragen wird. Bei Tagesanbruch können bereits die ersten Vögel kommen. Spätestens dann stellt sich heraus, ob der Lockvogel alle erforderlichen Rufe – das Lock´n, das A´radl´n, das Betteln und das Warnen – kann (das Erkennen eines begabten Lockvogels ist eine Kunst, zu der es eine lebenslange Erfahrung braucht. Gute Lockvögel behält man sich daher ihr ganzes Leben lang. Sie können zu Hause über 20 Jahre alt werden, ein Alter, das sie in freier Wildbahn bei weitem nie erreichen - höchstens 3 bis 4 Jahre). Der Fänger selbst kann aktiv nichts mehr machen, als weiterhin genau beobachten. Selbstverständlich muss er sich ständig in Sichtweite zum Fangplatz aufhalten, um bei eventueller Gefahr (Sperber) oder bei erfolgreichem Fang gleich zur Stelle zu sein. Beringte Vögel werden sofort freigelassen und die Ringnummern gemeldet, wodurch bereits einige interessante Daten erfahren werden konnten.
Aber es kommt oft vor, dass der Vogelfänger ohne Fangerfolg den Heimweg antritt. Ein erlebnisreicher Tag war es allemal und vielleicht ist ein anderer Tag von besserem Erfolg gekrönt.
Jeder Vogel ist verschieden und hat seine Eigenheiten. Manche sind jedoch auch innerhalb der Arten ziemlich ähnlich. Leitvögel der im Herbst zur Strichzeit in kleinere und größere Schwärme zusammengeschlossenen Vögel verhalten sich anders als „normale“ Mitglieder. Auch im „Gschroa“ unterscheiden sich die Vögel. Beim Kreuzschnabel gibt es „Schlimpara“, „Guatschreier“, „Hellschreier“, „Tschlocken“ und „Wistla“, um die wichtigsten Gruppierungen zu nennen. Diese unterscheiden sich nicht nur im Gesang, sondern auch im Aussehen und z.T. im Verhalten. Beim Stieglitz sind die im Sommer vorherrschenden „Bliahstieglitz“ in Herbst schon selten. Gimpel mit dem „Hefengschroa“ kommen frühestens Ende Oktober.
Ist ein schönes Männchen gefangen, so beginnt die geduldige Arbeit mit dem Vogel. Der Mensch wird bei Annäherung vom Vogel grundsätzlich als Gefahrenquelle gesehen, von der er flüchten will. Das kann er nun nicht mehr, wodurch es gilt, dem Vogel die Scheu so viel wie möglich zu nehmen. Dies geschieht zum einen dadurch, dass das natürliche Verhalten des Vogels als „Strukturflüchter“ ausgenützt wird. Flieht der Vogel vor einer Gefahr, so sucht er nicht das grelle Licht auf, sondern einen Strauch, das Geäst eines Baumes oder ein sonstiges nahes Dickicht. Ist nämlich der Feind im grellen und der Vogel im Dunkleren, so ist die Gefahr für den Vogel halb so schlimm. Gefährlich sind Feinde, welche sich aus der Deckung „anpirschen“. Daher muss der Fänger drauf schauen, dass der Vogel vorerst im Halbdunkel gehalten wird und sich der Fänger im grellen Licht bewegt. So ist er für den Vogel am ungefährlichsten. Natürlich werden frisch gefangene Vögel zuerst in sehr kleinen Vogelhäuschen gehalten, damit es durch unbedachte, schnelle Bewegungen des Vogels zu keinen Verletzungen kommt. Erst später, wenn man sich dem Vogel ohne weiteres nähern kann, kommt er in größere Häuschen.
Nach der Ausstellung kommt er, zusammen mit den Lockvögeln in eine sogenannte Voliere, wo er umherfliegen kann. Die Innenausstattung dieser Volieren reicht von vielen größeren und kleineren frischen (Nadelholz)- Zweigen über hölzerne Schlafstangen für jeden einzelnen Vogel bis zum kalkreichen, sauberen Sand zur Bodenbedeckung (braucht der Vogel als "Mahlkörner" für die Verdauung, sowie zur Volierehygiene). Vögel baden auch gerne, wozu ihnen eine Badegelegenheit eingerichtet wird. Selbstverständlich müssen die Vögel täglich mit frischem Trinkwasser versorgt werden. Als Futter werden ausschließlich natürliche Sämerein (Fichten-, Lärchen-, Erlen-, Latschenzapfen, Disteln, Beeren, Hanf, Sonnenblumenkerne, Leinsamen, Negersamen, div. Kräutersamen, etc.), Kräuter und Knospen verwendet. Die Nahrung entspricht den artspezifischen Ansprüchen und richten sich nach der jahreszeitlichen Verfügbarkeit und nach den Vorräten (besonders bei Zapfen). Etwaig auftretende Erkrankungen (wie Milbenbefall) werden nach verterinärmedizinischer Beratung mit den empfohlenen Präparaten behandelt.
Bis auf wenige Vögel, die als Lockvögel behalten werden, werden die Vögel im Frühjahr am Beginn der Brutzeit wieder ausgelassen. Der Zeitpunkt ist je nach Vogelart verschieden. Als erster kann der Gimpel sein Brutrevier und sein Weibchen suchen. Dazu ist eine Vorbereitungszeit notwendig, um die Tiere an die Außenbedingungen zu gewöhnen. Etwa ein Monat zuvor haben die Vögel nur mehr selten näheren Kontakt zu Menschen, werden hauptsächlich mit Futter versorgt, das sie um diese Jahreszeit auch draußen vorfinden (z.B. Fichtensamen, Wildkräutersamen und Knospen, welches sie sich selbst am Boden suchen müssen). Sie werden dadurch scheu und vorsichtig und erlernen die natürlichen Gefahren verstärkt zu beachten. Da die Vögel bereits die Bedingungen der freien Wildbahn erlernt haben und kennen, ist eine Wiederfreilassung in natürlicher Umgebung ohne weitere Komplikationen möglich. Ist ein Brutrevier frei, kann er es gleich besetzen, ist keines frei, muss er weitersuchen. Somit ist er wie jeder andere, im Revier überwinternde Vogel den natürlichen Gegebenheiten, Gefahren und Möglichkeiten gleichwertig ausgesetzt.
Im Sommer gilt es nicht nur die Lockvögel optimal zu betreuen, sondern auch wieder zahlreiche Beobachtungswanderungen durchzuführen, um die diesjährigen Verhältnisse für den Vogelstrich im Herbst zu erkunden. Wichtig ist die Auskundschaftung der Futterplätze, welche nicht jedes Jahr am selben Ort anzutreffen sind, sowie die dahin möglichen Zugstrecken. Die vier begehrten Finkenarten sind Körnerfresser und sammeln sich außerhalb der Brutzeiten zu unterschiedlich großen Trupps zusammen, um die Gegend nach Futterplätzen abzusuchen, wo sie überwintern können. Dabei können sie lange Strecken in alle möglichen Richtungen zurücklegen. Ist ausreichend Fraß gefunden, so bleiben sie dort meist den gesamten Winter über. Im Spätsommer beginnt bereits wieder das Sammeln von Futter für den Winter und das Zurechtmachen der Fanggeräte und Vogelhäuschen, bis am 15. September die Fangsaison wieder beginnt.
So schließt sich der Jahreskreis der Vogelfänger im Salzkammergut, welche die Vögel als Leihgabe der Natur betrachten. Diese Art der Naturverbundenheit ist in Bezug auf Waldvögel durch nichts zu ersetzen, schon gar nicht durch virtuelle Alternativen, wie Film oder Computer. Hier entsteht eine viel tiefere Beziehung, welche heute schon vielerorts als „unzeitgemäß“ missgedeutet wird. Nobelpreisträger Prof. Dr. Konrad LORENZ sagte es immer wieder deutlich: „Es gibt kaum etwas, was dem Naturschutzgedanken förderlicher sein könnte, als eine wirklich nahe Vertrautheit mit unserer einheimischen Vogelwelt und die wiederum kann durch nichts so gründlich erlangt werden, wie durch das Halten von einheimischen Vögeln." Und: "Ich stimme nicht in das Geschrei ein, zum Vogelschutz etwa den Fang einheimischer Vögel zu verbieten. Unsere heimischen Vögel leiden unter ganz anderen Faktoren: Unter der Zerstörung ihres Lebensraumes und unter Vernichtung ihrer Brutstätten. Und die paar Stieglitze die der Vogelliebhaber fängt, um sie zu halten, die fallen überhaupt nicht ins Gewicht. Ich propagiere als Menschenerziehungsmittel Tierhaltung so viel als möglich."